Jan Wohlgemuth
Das Problem einer Wortarteneinteilung in der Bahasa Indonesia
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2. Allgemeine Theorien zum Problem der Wortarteneinteilung

Ich möchte der Untersuchung zur Bahasa Indonesia einige allgemeine Betrachtungen dreier Linguisten zur Wortartenproblematik vorausschicken, einerseits, um die generellen Fragestellungen darzustellen, andererseits da sie die theoretische Grundlage dafür bilden sollen, Klassifikationsansätze für die Bahasa Indonesia zu interpretieren und zu beurteilen.

2.1 Paul

Im 20. Kapitel seiner Prinzipien der Sprachgeschichte legt Paul dar, welche Kriterien zur Wortartenunterscheidung angelegt werden können, und wo deren Unzulänglichkeiten liegen. Er bemerkt dazu:

"Die übliche Scheidung der Redeteile [...] wie sie der Hauptsache nach von den antiken Grammatikern überkommen ist, beruht nicht auf konsequent durchgeführten logischen Prinzipien, sie ist vielmehr zu Stande gekommen unter Berücksichtigung sehr verschiedener Verhältnisse. Sie trägt daher den Charakter der Willkürlichkeit in sich. [...] Es würde aber nicht möglich sein, etwas wesentlich besseres an ihre Stelle zu setzten, so lange man darauf ausgeht, jedes Wort in eine bestimmte Klasse unterzubringen." (Paul: § 244, S. 352.)

Pauls weitere Ausführungen zu verschiedenen Einteilungskriterien fasse ich im Folgenden kurz zusammen:

a) Die Einteilung nach den logischen Kategorien "Substanz, Eigenschaft oder richtiger Vorgang"( a.a.O, §245, S.352) sei unzureichend, da es auch substantivische Bezeichnungen von Eigenschaften oder Geschehen gebe sowie verbale Bezeichnungen von Eigenschaften. Außerdem sei die Zuordnung von Pronomina und Numeralia zu den Substantiva und Adjektiva logisch falsch. (vgl. ebd.)

b) Die Einteilung nach der Funktion im Satzgefüge, nach Wörtern, "die für sich einen Satz bilden, solche[n], die fähig sind als Satzglied zu dienen, und solche[n], die nur zur Verbindung von Satzgliedern dienen, Verbindungswörter[n]" (vgl. a.a.O., §246, S. 353) hält Paul für schwierig, da die Unterscheidung zwischen Adjektiv und Substantiv, Präposition und Konjunktion nicht eindeutig getroffen werden könne, wie z.B. in Sätzen wie "frisch gewagt ist halb gewonnen"(a.a.O., §246, S. 354).

c) Die Einteilung nach den Flexionsweisen (Nomina, Verba, flexionslose Wörter) hält er für diejenige, die sich noch am konsequentesten durchführen lasse(a.a.O., §247, S. 354), bei der sich aber "die Nominalformen des Verbums und die substantivierten Indeklinabilia widerstrebend" zeigten(ebd.) und sämtliche undeklinierbaren Wörter nicht weiter unterteilt werden könnten.

Paul kommt nach dieser Kritik zu dem Schluß, daß

"[...] diese Scheidung [der Redeteile] nicht wirklich durchführbar ist. Die dabei in Betracht kommenden Verhältnisse sind zu mannigfaltig und erscheinen in zu verschiedenartigen Kombinationen, als dass eine Einordnung in acht oder neun Rubriken genügen könnte. Es gibt eine Menge Übergangsstufen, vermöge deren ein allmählicher Übergang von der einen in die andere Klasse möglich ist."( a.a.O., §248, S. 355)

Die Annahme eines Übergangs zwischen den Wortarten ist eine Möglichkeit, dem Problem der unmöglichen klaren Abgrenzung der Wortarten zu entgehen. Paul setzt hier allerdings keinen fließenden Übergang, sondern vielmehr Zwischenstufen, also letztendlich neue Klassen an, die zwischen den einzelnen Wortklassen vermitteln und abgrenzbar sind. (z.B. substantivische Adjektive, adjektivische Substantive, etc.)


2.2 Crystal

Auch Crystal nimmt in seinem Aufsatz English Abstand von der klassischen Wortarteneinteilung und den wenigen, klar umrissenen Wortklassen:

"The near-universal use of a very small number of labels has obscured the existence of deeper problems [...]"(Crystal: S. 24)

Er merkt an, daß das Grundproblem bei der Aufstellung von Wortklassen die Vorgehensweise zu deren Feststellung ist (a.a.O., S. 25), und macht dies an verschiedenen Verfahren deutlich, die entweder eine unüberschaubare Anzahl kleiner Wortklassen oder aber nur zwei Großklassen hervorbringen. Deshalb verlangt er von einer sinnvollen Wortarteneinteilung und deren Kriterien:

"What is needed is a balance between the over-classification of words [...] and their under-classification [...]. The classes, to be useful to the linguist (or teacher) have to be few and fairly general, and have some degree of intuitive coherence. This ideal situation, however, can only be approached by in some way ranking the criteria which one considers relevant to the task of class definition."( a.a.O., S. 41)

Es sollen also mehrere Kriterien in einer unterschiedlichen Gewichtung angelegt werden, um das Ziel einer "nützlichen" Wortarteneinteilung zu erreichen. Crystal warnt davor, einzelne Kriterien von vornherein als irrelevant einzuschätzen oder zu erwarten, daß alle Kriterien für sich genommen zu dem selben Ergebnis führen.( vgl. a.a.O., S. 42)

Damit stützt er sich ausdrücklich auf Aussagen von Robins (vgl. a.a.O., S. 27 (Fußnoten 7 und 9)), der in seinem Werk General Linguistics - an introductory survey schrieb:

"In formal grammar, the number and nature of the word-classes of a language must be worked out as the analysis proceeds, not assumed in advance, nor settled by reference to the grammatical class of the nearest translation equivalent of a word in English, Latin or some other language. Traditional terms are useful as labels for formal classes where they seem appropriate through some observed similarity of grammatical function with word classes already so named in other languages. [...] The definition of a class, and its membership, can only arise from the criteria used to establish it in first place." (Robins, S. 228)

Folgende Kriterien setzt Crystal, analog zu den linguistischen Beschreibungsebenen, an (vgl. Crystal., S. 42f):

a) Phonologisch-graphologische Kriterien, wie z.B. Betonung, Silbenzahl, etc., wobei die meisten Erscheinungen, die für eine Wortarteneinteilung relevant sind eher morphophonologischer Natur und daher den morphologischen Kriterien zuzuordnen seien.

b) Morphologische Kriterien, wie z.B. Affigierung, wobei wortartenspezifische Flexions- bzw. Derivationsaffixe als Indikatoren dienen.

c) Lexikalische Kriterien wie Ähnlichkeit oder Identität in bestimmten Kontexten, hält Crystal für noch so wenig ausgearbeitet, daß sie ihm nicht anwendbar erscheinen.

d) Semantische oder begriffliche Kriterien wegen ihres intuitiven Charakters auszusondern hält Crystal für methodisch falsch. Vielmehr hofft er darauf, daß sich die durch formale Kriterien gefundenen Wortklassen auch als genauso semantisch kohärent darstellen, wie es beispielsweise die Zahlwörter seien.

e) Syntaktische Kriterien sind für ihn das zentrale Mittel zur Wortartendifferenzierung, auch wenn er die Methode, nach der Austauschbarkeit in bestimmten Satzrahmen (frames) zu klassifizieren, nicht für vollkommen zufriedenstellend hält. Problematisch sei zum einen die Auswahl der frames, zum anderen die Abstufung der Ergebnisse:

"If two words are different in respect of every sentence-frame one can think up, then there is no problem. Likewise, if they are identical. The problem of grading comes when two words are identical for some frames and different for others."(a.a.O., S. 45)

Wenn man auf solche Fälle stößt, muß man weitere Kriterien hinzuziehen, und deren Gewichtung festlegen. Dies könne jedoch nur im Rahmen eines "generellen Prinzips"( vgl. ebd.) geschehen. Dabei sollen die Kriterien nach ihrer statistischen Häufigkeit gewichtet werden:

"[...] that criterion is ranked first which applies to most cases, and which least applies to other classes."(ebd.)

Ich möchte dies anhand eines von Crystals Beispielen zeigen. Es geht hierbei um die Abgrenzung von Adjektiven und Adverbien im Englischen (vgl. hierzu a.a.O., S. 50f). Als "volles" Adjektiv soll dabei ein Wort angesehen werden, das alle der folgenden fünf angesetzten Kriterien erfüllt:

1) Fähigkeit, ein Adverb durch Anhängen von -ly zu bilden

2) Fähigkeit, Steigerungsformen zu bilden, die in einer Nominalgruppe stehen

3) Fähigkeit, nach Intensifiern wie very zu stehen

4) Fähigkeit, zwischen Artikel und Nomen stehen zu können

5) Fähigkeit, in prädikativer Position nach Verben wie be, seem, become zu stehen

Tabelle 1. Klassifikation von englischen Adjektiven

Adjektiv 1) 2) 3) 4) 5)
asleep - - - - +
alike - +? - - +
one, two - - - + +
inside, downstairs - - - + +
top, bottom - - + + +
old, young, fast, big, poorly [sic!], small - + + + +
hard, kindly [sic!], low +? + + + +

+ = Kriterium erfüllt / - = Kriterium nicht erfüllt / ? = fraglich

(nach Crystal S. 51)

Je mehr Abweichungen (also Nichterfüllen eines Kriteriums) bei einem Wort festgestellt werden, um so weniger läßt sich der Terminus Adjektiv auf dieses Wort anwenden, um so weiter ist es also vom zentralen Bereich der Wortklasse Adjektiv entfernt.

Auch bei dieser Methode finden sich also schnell Wörter, die nicht zweifelsfrei zugeordnet werden können, und auch Crystal setzt deswegen eine Reihe von "bridge areas"(vgl. a.a.O., S. 50) an, denen er aber den Status einer Wortklasse verwehrt. Vielmehr sollen sie einen Grad an "Adjektivität" haben:

"The degrees of difference from orthodox adjectives and adverbs might then be quantified in terms of the number and rank of criteria applicable and inapplicable, and these words said to be verifiably 'nearer' to one class than the other."(a.a.O., S. 52)

Wichtig ist für Crystal, nicht von a priori bestehenden Wortarten(einteilungen) auszugehen, sondern die Einteilung anhand des Befundes, also nach der Analyse vorzunehmen:

"Once descriptive accuracy is reached, the problem then becomes on par with other 'higher-level' problems, such as whether to take two or more clearly distinct groups of words as separate classes, or as sub-classes within one major class [...] in each case, the descriptive differences are fairly well-known, and the problem is one of evaluating the alternative solutions in terms of the grammar as a whole. [...] the primary aim of descriptive accuracy can only be attained by allowing the data to suggest the number of classes, and by ignoring the preconceptions imposed by traditional definitions."(a.a.O., S. 52f.)

Abschließend warnt er noch einmal davor, die bekannten Termini unkritisch zu verwenden und mahnt an, daß das Hauptaugenmerk bei der Wortarteneinteilung in der Auswahl und Ordnung der Kriterien liegen sollte.


2.3 Weigand

Mit einer sehr ähnlichen Feststellung eröffnet Weigand ihren Aufsatz Wortarten als Grammatische Kategorien, wenn sie schreibt:

"Entscheidend für das Problem der Wortarten ist die Frage, welche Kriterien für die Einteilung in Klassen konstitutiv sind, und wie sie zueinander in Beziehung stehen."(Weigand, S. 197)

Der Beziehung dieser Kriterien widmet sich auch der Hauptteil dieses Aufsatzes; jedoch führt Weigand zunächst diejenigen Kriterien auf, die sie für relevant ansieht. Dabei unterscheidet sie Kriterien, die sich auf die Ausdrucksseite beziehen und Kriterien, die sich auf die Inhaltsseite beziehen(vgl. a.a.O., S. 198). Zu den erstgenannten zählt sie das morphologische Kriterium der Flexion, und das der syntaktisch-distributionelle Kriterium, zu den letztgenannten das "semantisch-ontologische Kriterium 'Bezug auf die außersprachliche Welt'" und das "innertextlich-funktionelle" Kriterium. (vgl. ebd.)

Bei der Kritik der verschiedenen Kriterien bezieht sie sich u.a. auch auf Crystal, so daß ich hier vor allem solche Aspekte herausgreifen möchte, die von den im vorangehenden Kapitel beschriebenen signifikant abweichen.

Weigand merkt an, daß das syntaktisch-distributionelle Kriterium allein nicht ausreicht, um beispielsweise im Deutschen eine Wortarteneinteilung vorzunehmen. Es müssen also diesem Kriterium noch andere nachgeordnet werden ("transformationelle Kriterien"(vgl. a.a.O., S. 198f), z.B. Flexion), und dies solle zu der Erkenntnis führen,

"[...] daß durch eine syntaktisch-distributionelle Beschreibung zwar die Wortarten einer Einzelsprache oberflächenstrukturell unterschieden werden können, aber das Problem der Wortarten als Ganzes nicht zu klären ist, da allein mit dem Kriterium der Distribution die Frage nach der Funktion der einzelnen Wortarten und der Wortartenunterscheidung generell nicht beantwortet werden kann."(a.a.O., S. 199)

Auch die Annahme einer kategorialen Bedeutung wie 'Gegenständlichkeit' für Substantive innerhalb einer semantisch-ontologischen Wortarteneinteilung hält Weigand nicht für hinreichend, um damit die Wortarten zu definieren, vielmehr sei dies nur eine scheinbare semantische Begründung, da hier "zwei nicht definierte Größen nach einer Art Zirkeldefinition gleichgesetzt" (a.a.O., S. 200) werden. Jedoch legt auch sie semantisch-ontologische Kriterien an, wie später noch zu sehen sein wird.

Weigand legt das Hauptaugenmerk ihrer Betrachtung auf das vierte, das innertextlich-funktionelle Kriterium. Hierfür unterscheidet Weigand den Inhalt sprachlicher Äußerungen nach

"Aussagen über die außersprachliche Welt und [...] Aussagen über den innertextlichen Aufbau der Äußerung selbst." (a.a.O., S. 203)

Für Weigand ist die "grammatische Kategorie Wortart jedem Lexem als latentes Merkmal der Wortartzugehörigkeit inhärent"( ebd.), eine bestimmte innertextliche Funktion wohne dem Wort inne, so daß die Kategorie Wortart [im Deutschen] Zeichencharakter habe.(vgl. ebd.)

Sie macht dies am Beispiel des Deutschen fest, wo beispielsweise die Wortart Adjektiv

"in der Distribution Nominalphrase Det ___ N mit beschreibender Funktion stehen [kann] und in der Distribution der Vebalphrase in Verbindung mit der Kopula mit prädizierender Funktion. (z.B. die laute Musik versus die Musik ist laut.)" (a.a.O., S. 203f; Hervorhebung von der Autorin)

Zur Veranschaulichung gibt Weigand folgendes Schema an:

Abb.1: Das Wirkungsprinzip der grammatischen Kategorie Wortart

Grafik nach Weigand

(vgl. a.a.O., S. 204)
Dieses Schema verdeutliche, so Weigand,

"daß Wortarten nicht als Klassen von Wörtern zu definieren sind, sondern ein Verfahren darstellen, Lexeme hinsichtlich ihrer syntaktischen Verwendbarkeit und damit zugleich hinsichtlich ihrer innertextlichen Funktion, die sie in einem Syntagma übernehmen, zu klassifizieren."(ebd.)

Bis hierher sind morphologische, syntaktische und innertextlich-funktionelle Kriterien herangezogen werden. Die bereits weiter oben kurz angesprochenen semantisch-ontologischen Kriterien will Weigand nicht auf die Wortart an sich sondern auf die einzelnen Lexeme bezogen wissen, und die Inhaltskomplexe wie 'Gegenstand', 'Eigenschaft', 'Handlung' mit den Wortarten dadurch in Verbindung bringen, daß diese mit der innertextlichen Funktion der Wortart (eindeutig festgemacht im konkreten Syntagma) in Zusammenhang stehen (vgl. a.a.O., S. 205):

"Nun kann aber eine Wortart aufgrund ihres Distributionspotentials verschiedene innertextliche Funktionen übernehmen; doch läßt sich davon eine nach dem Kriterium der Frequenz in der Performanz als primäre auszeichnen [...]."(ebd.)

Die bestimmten Inhaltskomplexe einer Wortart seien jeweils für eine bestimmte innertextliche Funktion (beispielsweise Referieren (für Substantive), Prädizieren (für Verben), Beschreiben (für Adjektive)) prädestiniert, so daß hier ein relativ leicht erkennbarer Zusammenhang bestehe.(vgl. ebd.)

Weigand vereint in ihrem Aufsatz also die vier eingangs genannten Kriterien und verleiht ihnen dabei nahezu gleichwertigen Charakter. Das Heranziehen aller vier Kriterien und die Betrachtung der Wörter im Syntagma (und nicht in der Isolation) sind für sie wichtige methodische Schritte zu einer Wortarteneinteilung.


Die Frage, ob und wie man die Kriterien auswählt und (hierarchisch angeordnet) anwenden soll, kann und soll an dieser Stelle selbstverständlich nicht definitiv entschieden werden. Diese Entscheidung ist m.E. auch von den Gegebenheiten der jeweils zu untersuchenden Sprache abhängig, da ggf. einzelne Kriterien oder Kriterienkomplexe nicht anwendbar sind oder zu keinem brauchbaren Ergebnis führen. So ist beispielsweise das morphologische Kriterium Flexion auf die Bahasa Indonesia überhaupt nicht anwendbar, da es in dieser Sprache keine Flexion gibt.



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